Immer wenn es dunkel wird...

Ein kleiner Krimi von Peter Spangenberg
Ostender Siedlung

Stellen Sie sich vor, Sie hören nachts ein verdächtiges Geräusch an der Wohnungstür oder auf dem Grundstück! Sie bemühen sich auch extra vor die Tür, können aber keine Ursache für die gestörte Ruhe entdecken. Am nächsten Morgen allerdings bemerken Sie frische Einbruchspuren an der Tür, am Fenster oder am Garagentor, vielleicht fehlt etwas oder gar alles Bargeld aus Ihrer Geldbörse oder aber es hat sich jemand aus Ihrem Kühlschrank bedient.

Für die Bürger aus der Ostender Siedlung in Eberswalde ist die wahrscheinliche Ursache solcher ärgerlichen Vorkommnisse bereits namentlich bekannt. Ein ehemaliger Versicherungsvertreter, der sich ja bestens Überblick über das Wohnungsinnere seiner Opfer verschaffen konnte oder gar sah, wo die Leute wertvolle Gegenstände und Geld deponierten, besucht auch noch nach beinahe schon Jahrzehnten seine ehemalige Kunden.

Die dabei vom Dieb an den Tag gelegte Dreistigkeit ist schockierend. Wird sein Einbruchsversuch durch einen aufgewachten Bürger gestört, so macht sich der Kerl nicht etwa aus dem Stäube, sondern wartet mit der Fortsetzung seiner "Arbeit" wenige Schritte von der Tür entfernt hinter einer Hausecke oder einem Strauch, bis das neugierige Opfer endlich wieder ins Haus zurückkehrt und im Idealfall vor dem laufenden Femseher einschlummert.

Natürlich schläft man, wenn man vor nicht gar zu langer Zeit schon einmal nachts bestohlen wurde oder gar zu des Diebes Ostender Lieblingsopfem gehört, nicht immer sofort wieder fest ein, und darum wurde dieser ungebetene Gast auch schon desöfteren auf frischer Tat ertappt, manchmal sogar von den Opfern direkt der Polizei übergeben. Zu DDR-Zeiten war der liebe Mann dann für längere Zeit anderen Orts nicht abkömmlich und ersparte den Ostendem so für Monate oder Jahre seine aufdringlichen Besuche.

Seit einiger Zeit - ich schätze, so seit Sommer 1994 - scheinen nun seine Perioden amtlich geregelten Broterwerbes auszubleiben. Nach Meinung Betroffener jedenfalls geht dieser Herr B. nun schon wieder viel zu lange in fremden Häusern auf Schatzsuche.

Erkennen kann man ihn übrigens auch - an einem stabilen Schraubenzieher und einer Taschenlampe. Mit dieser Standardausrüstung ist Herr B. auch schon der Frau, welche sehr früh am Morgen bei uns in Ostend Zeitungen austrägt, aufgefallen. Nach Einschätzung von Nachbarn begibt sich Herr B. ausschließlich zu Fuß zu seinen Fanggründen, die nicht nur in Ostend zu vermuten sind. Zufällige Begegnungen mit ihm während eines Abendspazierganges sind nicht auszuschließen!

Was die Opfer so wütend macht, ist zum einen der gemessen am durchschnittlichen Wert der entwendeten Dinge hohe Sachschaden durch das Einbrechen, zum anderen aber diese unerhörte Frechheit, selbst Bürger, die ihn schon einmal ergriffen, angezeigt oder gar nach persönlichem Ermessen erzieherisch behandelt haben, tapfer weiter zu beehren.

Fensterschaden

Oft kratzt Herr B. Kitt aus den Fenstern oder Türen, um danach eine Scheibe ganz oder teilweise herauszubrechen (so geschehen im Talweg und Höhenweg). Manchmal bricht er auch Leisten, die eine Scheibe oder Holzplatte halten, mit seinem Schraubenzieher ab oder bohrt mit seinem Schraubenzieher furchtbar liederliche Löcher zwischen Tür und Rahmen hindurch. Vermutlich kann durch so ein an Insektenfraß erinnerndes Bohrloch mit einem Draht am Schlüssel manipuliert werden oder es besteht wenigstens Hoffnung darauf.

Manch einem fällt auch nie etwas auf, bis die Zweifel wegen gehäuften unerklärlichen Verbleibens so mancher Geldscheine aus Jacke, Hose oder Tasche sich nicht mehr ausschließlich gegen die eigene Vergeßlichkeit richten. Nach Auskunft eines Nachbarn öffnete Herr B. auch schon mit einem speziellen Gerät DDR-Türschlösser (diese oft bunten Schlüssel mit Dreier- oder Viererbart sind heute sicher schon seltener in Außentüren zu finden!), bis er an einem seiner Pechtage mit genau diesem Gerät beschäftigt war und dabei erwischt wurde.

zerkratzte Tür

Dieser Herr B. war im Umkreis von 200 m um unser eigenes Grundstück nun seit Sommer 1994 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens 4 mal einschlägig aktiv. Dabei wurde er einmal durch gereizte Nachbarn und die Polizei, ein weiteres Mal zusätzlich durch eine Schar vor Begeisterung über die tolle Jagd nach Mittemacht kreischender Kinder verfolgt. Eine dieser Verfolgungen endete doch tatsächlich ausgerechnet vor meinem Fenster, so daß ich die (jetzt noch) mehr erzieherisch gemeinten Worte unseres den Dieb haltenden Nachbarn bezüglich einer eventuellen Tatwiederholung noch gut im Ohr habe. Das, was unser lieber Nachbar dem Herrn B. alles in Aussicht stellte, war mit Sicherheit etwas übertrieben, dennoch verdiente sich Herr S. die Sympathie der Nachbarschaft durch sein geschicktes Vorgehen zur Ergreifung des Diebes. Und diese Geschichte erzähle ich nun einmal ausführlicher.

Rentner schlagen zurück

Auch Herr S. hörte in der Nacht merkwürdige Geräusche am Hauseingang. Wohl aus Erfahrung klug, denn Familie S. gehört leider zu den beliebteren Opfern des Herrn B., warteten Herr S. und seine Frau nach dem ergebnislosen Erkundungsgang vor die Tür noch einige Minuten im wieder dunklen Flur. Herr S. hatte nämlich einen Schal, den der Dieb wohl nicht mehr mit hinter die Obststräucher zu nehmen vermochte, in Türnähe liegend bemerkt, diesen aber scheinbar nicht beachtet. Und richtig: der Kerl war ja gekommen, um etwas zu holen, nicht aber etwas dazulassen. Nach kurzer Zeit, in der die Frau S. gerade noch die Polizei anrufen konnte, bekamen die Eheleute S. - die beide nicht mehr die jüngsten sind - den sich anschleichenden Herrn B. auch vor der Tür zu fassen. Wieviel Wut muß sich da aufgestaut haben, daß Omas und Opas selbst gegen Kriminelle mobilmachen und sich vor Ankunft der Polizei auf den Eindringling stürzen? Dem Dieb gelang es irgendwie, sich loszureißen und laut trampelnd durch den Garten zu flüchten, verfolgt vom sich so Mut machenden aus voller Kehle wetternden Nachbarn. Aufgewacht von dem Spektakel zu früher Morgenstunde, sah ich nun auch die Polizei an der Verfolgung teilnehmen, die genau vor meinem Fenster auf dem Grundstück eines anderen Nachbarn endete. Hier bekamen Herr S. und ein Polizist fast gleichzeitig den Herrn B. zu fassen. Da bei dem Krach niemand schlafen kann, hatte Herr S. nun auch zahlreiche Zuhörer für seine nur langsam leiser werdende Wut.

Der Polizei gelang es nun, Opfer und Täter voneinander zu trennen, meinte aber gleich Herrn S. gegenüber, daß Herr B. wohl gleich nach Feststellung der Personalien wieder frei sein dürfte und eine Anzeige wenig Aussicht auf Erfolg (sprich: Strafe) hätte. Doch dazu komme ich noch! Sei es wegen der Herrn S. nun mal eigenen, sehr anschaulichen und drastischen Wahl der Worte für seine Ermahnungen für Herrn B., als dieser von der Polizei ergriffen wurde - oder weil die Beamten uns Bürgern ein langersehntes Gefühl der Sicherheit und ruhigen Nachtschlaf zu geben wünschten - in der nächsten Nacht hatte Herr S. Polizeischutz durch einen Streifenwagen der Eberswalder Polizei. Schade nur, daß diese allgemein begrüßte Maßnahme der Polizei bereits in der darauffolgenden Nacht nicht mehr wiederholt wurde! Inzwischen wurde nämlich auch an unserer eigenen Tür (hoffentlich erfolglos) gebohrt und gehebelt, in einem Haus auf der anderen Straßenseite wurde eine Scheibe zerstört und Bargeld gestohlen, und: ehrlich - man schläft nicht mehr so ruhigl

Wann wird endlich etwas getan?

Von Herrn S. erfuhr ich, daß angeblich schon über hundert Anzeigen gegen Herrn B. vorlagen, der Staat aber doch noch keine Handhabe findet, Herrn B. in speziellen Einrichtungen so zu beschäftigen, daß er weder Gelegenheit zu - noch Lust auf nächtliche Einbrüche bekommt. Was muß eigentlich noch geschehen, um diese ständigen Einbrüche endlich aus dem Status der Geringfügigkeit zu heben und eine angemessene Strafverfolgung zu ermöglichen? Hier geht es ja nicht nur um die materielle Schädigung der Opfer, sondern auch um die nachhaltige Senkung der Lebensqualität durch Unsicherheit, bei manchem sicher auch Angst, und - möglich jedenfalls - verringerte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz infolge beeinträchtigter Nachtruhe, nicht wahr?

Den Bürgern rate ich, in jedem bemerkten Fall Anzeige - bei fehlenden Beweisen eben gegen Unbekannt -zu erstatten. Dabei soll man aber nicht erwarten, daß die Polizei etwa von sich aus den Unterschied zwischen einer Anzeige wegen Diebstahl / Sachbeschädigung (das ist Zivilrecht, hier hat das Opfer als Kläger erst einmal selbst Kosten, die erst nach gewonnenem Prozeß dem Verurteilten in Rechnung gestellt werden können) und einer Anzeige wegen Einbruchs (das ist nun Strafrecht, hier ist der Staat Kläger, das Opfer aber in der ja kostenfreien Zeugenrolle) erklärt.

Es ist bestimmt nicht nur Herr S. mit solchen pessimistischen Halbwahrheiten von einer Anzeige gegen die Straftat Einbruch abgehalten worden! Den anderen Teil - die Schäden durch die Sachbeschädigung und den Diebstahl - überlassen die Bestohlenen ja doch ihren Versicherungen. Diese legen nun den Schaden fleißig auf alle Beitragszahler um, denn auch für die Versicherungen sind die laufenden Klauereien nur unzusammenhängende Einzelfälle, denen nachzugehen sich wohl keine Gesellschaft bemühen wird. So sind wir also alle zusammen durch erhöhte Schadensrisiken und Beiträge ebenfalls Opfer von Herrn B. und Konsorten.

Doch angenommen, man gewänne einen Prozeß gegen Herrn B., um Schadensersatz geltend zu machen:

Herr B. lebt von der Hand in den Mund - was kann man bei ihm schon holen? Seine Sozialhilfe darf er auf jeden Fall behalten. Und arbeiten - die Freude wird er uns nicht machen. Wer ist denn nun zuständig für dieses offensichtliche Unvermögen der Behörden, Straftaten wenigstens bei Ergreifung des Täters auf frischer Tat anschließend zu bestrafen? Ist es der Staatsanwalt, der die Vielzahl von Einzeltaten des Herrn B. nicht in Zusammenhang bringt und jedesmal wegen Geringfügigkeit die Verfahren einstellt? Oder sind es wir Bürger, zufrieden mit der schnellen Schadenregulierung durch die Versicherung, und viel zu bequem selbst zur risikolosen Anzeige wegen des Einbruchs. Und wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter, d.h. der Dieb kann weitermachen! Oder haben hier die Herren Politiker auf allen Ebenen noch Hausaufgaben zu erledigen, um den Behörden zu ermöglichen, nachweislich unbelehrbare Kriminelle für längere Zeit aus dem Verkehr zu ziehen? Kassiert diese Berufsgruppe etwa unsere Steuern für die Aufstockung ihrer Diäten, läßt uns aber auf den Mehrkosten für Alarmanlagen, Türpanzerungen und Festungsmauern im Vorgarten durch das Wegfallen des früher einmal selbstverständlich gewesenen Schutzes sitzen?

Wenn ja, was sollen wir tun? Ob nun in Richtung Selbstjustiz oder mehr Kontrolle von Straftätern - eine Entwicklung in irgendeine von beiden Richtungen wird wohl kein Politiker verhindern können. Ob aber auf Faustrecht basierendes Gesellschaftsmodell aber Politiker, Beamte und viele andere Berufe benötigt?


PS

geschrieben im Jahr 1995
der Dieb ist inzwischen seinem Suff erlegen.