WAL nicht sein darf, was nicht kann sein...

reagiert Arne Seifert auf das Kapitel "Todesursache Zins" des Buches WAL von Norbert Marzahn

Übrigens genau so, wie ich vor kurzem auch noch auf das modern gewordene Madigmachen von Zinsen reagiert hätte. Ich kann ihn gut verstehen, nur heute nicht mehr zustimmen.

Teil 2

A.Seifert: Marzahn macht sich jedoch nicht die Mühe, so weit zu denken. Er redet von einer zinslosen Gesellschaft, in der Arm und Reich sich zum Wohle aller annähern. Da viele Wirtschaftszweige gewaltige Investitionssummen benötigen, die ohne Zins (und daher ohne ein Angebot an Krediten) nicht zu realisieren sind, würde sich der Wohlstand der Gesellschaft deutlich zurück entwickeln. Er schreibt von Tempelrittern, welche Kredite zinslos (jedoch mit Bitte um Spende bei Erfolg) vergaben. Im Falle eines Fehlschlages erklärten sie den Kredit zum Geschenk.

Könnte das funktionieren? Oder würde eine leichtsinnige Kreditvergabe nicht dazu führen, dass sich alle möglichen Menschen plötzlich Geld borgen würden? Wenn sie doch im Falle eines Fehlschlages frei von Schulden sind! Was, wenn die modernen Tempelritter die "Story" des Kreditempfängers prüfen und bewerten? Dann entscheidet eine Clique über Kreditvergabe, nicht der Markt. Es gäbe also eine Kreditdikatur. Zumal die Spenden an den Tempel, von denen immerhin sämtliche Kreditausfälle getragen werden müssten, wohl weniger reichlich fliessen dürften als benötigt.

Die zinslosen Kredite der Tempelritter fand ich im Internet anders erklärt: Es gab satte Disagios. Ich leihe mir einen Sack Gold und verpflichte mich, zinslos zwei Sack Gold zurückzugeben. Der französische König geriet durch Schuldenmacherei so heftig ins Schlingern, dass er zu unschönen Entschuldungsmitteln griff, die ich deutschen Bankern gern ersparen würde. Die im Disagio vorweggenommenen Zinsen der Templer sollen zwar niedriger als bei jüdischen und anderen mediterranen Banken gewesen sein - aber es waren doch Zinsen. Hier irrt, denke ich, Herr Marzahn. Na und? Überwiegend stimmt ja sein Text.
Aber wenn Geld durch Herumliegen an Wert verliert, werden alle Besitzer des Geldes hastig nach Möglichkeiten suchen, dem Verfall durch Verleihen zuvorzukommen. Ob nun ganz zinslos oder sehr günstig im Zinssatz, ist sicher von Angebot und Nachfrage abhängig, auch vom Geschäftsrisiko. Ich glaube kaum, dass sich nicht auch große Summen für riesige Projekte finden ließen. Es würde, weil Geldhortung ja unangenehm teuer ist, wohl sogar viel mehr Geld gleichzeitig im Angebot sein. Unser Finanzminister würde Freudensprünge machen! Überall Existenzgründungen, kaum noch Konkurse.
Wer entscheidet heute über Kreditvergabe? Der Markt? Oder meine "Hausbank"? Konnte ich mir jemals den Zinssatz aussuchen? Die Verträge waren immer schon ausdrucksfertig im Bank-PC. Wer "Mein Fall" von Maculan gelesen hat, wird sich schwer hüten, dort einen Kredit zu nehmen, wo die Bank an der Konkurrenz beteiligt ist oder dieser ebenfalls große Kredite gegeben hat. Banken können Firmen (in einer Zinswirtschaft) vernichten und sie tun es bei Gewinnaussicht!
Was ist ein Kreditausfall? Hier sind wir doch schon wieder in der Terminologie der hektischen Zinswirtschaft verfangen! Wenn ein Kedit ohne Zinsen läuft und heute nicht zurückgegeben werden kann, dann muss er eben später wieder hereinkommen. Das macht keinen wesentlichen Unterschied mehr. Zeit verliert in gewissem Rahmen die Bedeutung. Keine gallopierende Verschuldung durch beschleunigt wachsende Zinsen bei abnehmenden Leistungszuwächsen bedeutet weniger Konkurse und sicherere Rückzahlungen. Irgendwann kann fast jeder, dem man das einmal zutraute, seine Schuld begleichen. Höhere Gewalt, vorzeitiger Tod oder ähnliche Risiken können jeden treffen, sind jedoch nicht als Regel anzusehen. Der Kredit wird daher zum persönlichen Vertrauensverhältnis zwischen Geber und Nehmer. Bisher habe ich damit keine schlechten Erfahrungen gemacht. Der Einzelhandel rechnet pauschal mit 3% schwarzen Schafen, und ähnlich wird wohl auch der Anteil betrügerischer oder unzuverlässiger Kreditnehmer sein. Daran stirbt kein System!

Auf die esoterischen Plänkeleien zwischen einem Fantasy-Autor und seinen Kritikern muss bei einem so sachlichen Thema wohl nicht weiter eingegangen werden. Um die Grafiken anzufertigen, habe ich jedenfalls keine übernatürliche Eingebung erbeten oder verspürt. Ein paar Suchworte bei Google, ein paar Striche und Tabellen im PC und etwas Mühe mit der html-Seite wegen kleiner Fehlfunktionen bei Meybohms Phase5 (dank Microsoft-Betriebssystem kann ich wohl auch hier den Eingriff unbekannter finsterer Mächte ausschließen) - dann war´s geschafft.

A.Seifert: Wie bei Verschwörungstheoretikern üblich kann man die Welt prima erklären. Es sind immer irgendwelche bösen Mächte am Werk. Die Kräfte waren hier sogar so böse, dass sie Hitler unterstützten. Hauptsächlich jedoch (...?...) sich Marzahn in den angeblichen zerstörerischen Folgen, die letzlich durch den Zins verursacht würden. Am Zins verdiene ein eingeweihtes "Geldhaberkartell" und jenes halte mit Absicht dieses üble Zins-System aufrecht.
"[...] Wir bekämpfen jedes Kapital gleich ob jüdisch oder deutsch, wenn es nicht in schaffender Arbeit liegt, sondern in Prinzip des Zinses, des mühe- und arbeitslosen Einkommen überhaupt. [...]" (Plakat der NSDAP zu einem Adolf-Hitler-Auftritt zum Thema "Warum sind wir Antisemiten?")
Im Parteiprogamm der nazionalsozialistischen DAP war von einer "Brechung der Zinsknechtschaft" die Rede. Ob gewollt oder nicht - da Herr Marzahns Argumente wie aufgeführt nicht greifen, stellt er sich hier in einen gefährlichen Schatten.

Eine recht anschauliche Tabelle zur beschleunigten Wachstumskurve von verzinstem Vermögen/verzinsten Schulden sehen Sie auf unserer Schulden-Seite. Also angenommen, Sie wären im Besitz von soviel Geld, dass es sich normalerweise in der Verwaltung von Profis alle 10-20 Jahre verdoppelt. Würden Sie dann nicht ein wenig fürs Zinssystem ins Schwärmen kommen? Insidergeschäfte an den Börsen, Preisabsprachen selbst bei Währungsspekulationen, konzertierte Aktionen der Global Player auf dem Weltmarkt für Chips (ob nun aus Kartoffelmehl oder Silizium) - das alles gibt es. Und es funktioniert für die Beteiligten besser, als wenn jeder zufallsbestimmt vor sich hin spekuliert. Gehen wir einfach einmal davon aus, dass diejenigen, die bisher klug genug waren, ein Vermögen anzuhäufen, nun auch nicht zu blöd sind, die Möglichkeiten des Marktes auszunutzen. Motiv ist vorhanden, Chance sowieso - und Strafen sind doch Ausnahmen. Das gegenwärtige System ist in der Hinsicht also sehr verführerisch! Ich würde das nicht so persönlich auf die bösen Reichen beziehen, sondern auf das Versagen des Gesamtsystems mit Zinsen.
Und ich würde auch gern diese leidige Links-Rechts-Schublade aus der Diskussion von Zinsen heraushalten wollen. Meine Einstellung zu diesem Zirkus für die unteren Volksschichten kann man auch nachlesen.
Wegen nie gehaltenen Wahlversprechen der NSDAP vor ...zig Jahrzehnten gleich einen braunen Schatten über dem Buch WAL zu orten - ist das jetzt nicht ein wenig übertrieben? Weder die Kommunisten noch die Nazionalsozialisten haben sich zur Abkehr von dem Schneeballsystem Zins durchgerungen - und nur weil die Nazis ein paarmal laut darüber nachdachten oder gar ein billiges Plakat dazu in Auftrag gaben, ist das Thema für mich noch lange nicht tabu. Wir fahren alle gern auf Hitlers (mit Zinsen finanzierten) Autobahnen herum, aber wenn uns zum Schönreden des Istzustandes die Argumente ausgehen, findet sich bestimmt irgendwo ein geeignetes Fascho-Zitat und die Sache ist vom Tisch. Früher hatte man dafür übrigens Bibelsprüche drauf. Das zitierte NSDAP-Plakat ist für mich also nicht glaubwürdiger als die heutigen Wahlplakate der Parteien. Eigentlich sollten wir doch die These erwarten dürfen: "Hitler wirtschaftete mit Zinsen - also ist jeder Zinsfreund ein Faschist!", nicht wahr? So aber macht das Zitieren nur Sinn, wenn man unbedingt die Zinsen rechtfertigen will. Damit begibt man sich jedoch ebenfalls in einen gefährlichen Schatten, nicht wahr? Zumindest jedoch auf sehr glattes Eis!

Herr Marzahn konstruierte unter Nutzung aller möglichen Quellen eine in sich geschlossene Geschichte, ein literarisches Kunstwerk, kein Fachbuch - und so etwas muss nicht unbedingt der Realität ähnlich sehen. Es reicht in diesem Genre allein die winzige theoretische Möglichkeit einer unwahrscheinlich klingenden Theorie, um diese mit Fantasie bunt ausschmücken und sich bei Gelegenheit auch einmal auf wissenschaftliches Glatteis begeben zu dürfen. Ein Disput über Zinsen muss jedoch strengere Kriterien erfüllen.

Hören wir Marzahn zu seiner rechten Einordnung selbst: "Das liegt wohl daran, dass die NSDAP die "Brechung der Zinsknechthaft" im Programm hatte, sich dann aber nie an das Thema heranmachte. Das ist so ein Problem, dass, wenn man heute etwas anfasst, was die Nazis mal anfassten, man sofort als Auch-Nazi diffamiert wird und schon wieder der Antisemit ist. Ich wundere mich, dass Vegetarier noch nicht als Nazis gelten, denn Hitler war einer. Beim Zinsthema könnte noch die althistorische Situation eine Rolle spielen, in der nur Juden Geld verliehen, während es Christen verboten war. Hieraus könnte antisemtisch abgeleitet werden, dass "die Juden uns das eingebrockt haben". Das ist aber Unfug, denn egal was war, heute tun es alle oder viele, die Zinsnahme ist kein "jüdisches Delikt" mehr. Im biblischen Buch Hesekiel gibt es ein "göttliches Zinsverbot", dies dürfte die Quelle des ehemaligen christlichen Anti-Zins-Denkens gewesen sein. Die Grundlage des Anti-Zins-Denkens ist somit Jahrtausende älter als der Nationalsozialismus."

A.Seifert: Leider hat sich Herr Marzahn zuwenig mit den Wirtschaftswissenschaften beschäftig. Um eine Fabrik zu bauen, benötigt man Geld. Seine "Grossgeldhaber" könnten wohl mal eben eine Fabrik bauen lassen. Kleingeldhaber sind, tragen sie sich mit dem Wunsch, eine Investition zu tätigen, jedoch in jedem Fall von Grossgeldhabern abhängig. Mit dem geborgten Geld verdienen sie später. Sie setzen den Betrag X ein, zahlen Y zurück und hoffen, Z zu erwirtschaften. Auf jeden Fall muss Z > Y sein, sonst lohnt es nicht. Das weiss auch ein Geldhaber A. Warum sollte er jedoch dem Geldbraucher B einen Gefallen tun und das Geld zinslos verborgen? Würde es A selbst investieren, könnte er schliesslich einen Profit erwirtschaften.

Wenn viele kleine Investoren Geld an unbekannte Großprojekte verleihen wollen, brauchen sie die Dienstleistung einer Bank. Diese zahlt, da sie bei Schwundgeld auch nicht gern gelagerte Werte verliert, garantiert jeden frei verfügbaren Cent günstig an erfolgversprechende Kreditnehmer aus - und das können auch ganz große Firmen sein, aber auch ein Bauchladenverkäufer und ein Privatkunde mit Konsumwünschen. Ausnahme: Es gibt auch Modelle mit nicht schwundbehaftetem Bankgeld. Auch Kleingeldhaber (furchtbares Wort) könnten sich bei den Leuten direkt um einen Kredit bemühen. Wie das geht, zeigt mein Kioskhilfsprojekt im Internet. Der Service einer Bank wird mit einer Gebühr belohnt werden müssen - aber das ist ein einmaliger Betrag, der nicht zwingend von dem Geldbetrag des Kredites abhängen muss. Natürlich sollen Projekte mit Geldeinsatz mindestens dieses Startkapital wieder einspielen. Aber nicht jeder kann jede Geschäftsidee umsetzen. Wenn ich heute der Bank erkläre, ich möchte einen Verlag gründen, weil da gute Gewinnaussichten drin sind - würde die Bank mir wohl den Kredit verweigern, um schnell selbst einen Verlag zu gründen? Selbst wenn ich zehnmal höhere Gewinnerwartungen als der Geldgeber in seinem Laden habe - der Schuster bzw. Geldhaber A bleibt sicher bei seinem Leisten und wird weiter genau das tun, was er gelernt hat und wovon er gut lebt. Das ist überhaupt die Regel: Man nimmt dann einen Kredit auf, wenn man hofft, weit mehr als die Zinsen wieder durch die Investition hereinzubekommen. Banken und Privatinvestoren geben also Ihr Geld am liebsten solchen Leuten, die damit höhere Profite erzielen als den geforderten Zins - ohne die Kreditnehmer um die Geschäftsidee zu beneiden! Und ich bekomme also gerade wegen der guten Gewinnaussichten den Kredit - heute mit, morgen vielleicht ohne Zinsen. Morgen ist er mir sogar sicherer, weil ich heute erst noch in einer Rentabilitätsvorschau beweisen muß, dass ich die Raten auch ja pünktlich erwirtschafte. Dieses bedrohliche Wettrennen mit den Zinsen entfällt ja morgen eventuell. Dann habe ich bei Bedarf eben ein wenig länger Zeit zur Rückzahlung, wogegen eine schnellere Ablösung bei entsprechendem Erfolg ebenso denkbar ist.

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