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ie Zeit nach dem II. Weltkrieg war auch
für die Schorfheide eine schwere Zeit. Sie musste Plünderungen,
Verwüstungen und Brandschatzungen über sich ergehen lassen. Wie durch
ein Wunder blieb das Wisent-Denkmal von all dem ver-schont. Auch von den mit
der bevorstehenden Gründung der DDR im Zusam-menhang stehenden radikalen
Einschnitten im gesamten Organisations- und Ver-waltungsgefüge der
Schorfheide, wurde das Wisent-Denkmal nicht berührt. Das mag wohl auch
daran gelegen haben, dass die neuen Machthaber noch nicht genügend
etabliert waren und selbst ihr eigenes politisches Tagesgeschäft nur
unzureichend beherrschten. Sie wurden quasi von der Bewältigung der
täglich zur Lösung an-stehenden Alltagsprobleme so in Anspruch
genommen, dass in dieser Phase der Ent-wicklung das Wisent-Denkmal in der
Schorfheide, als ein verbliebenes Relikt un-mittelbarer Vergangenheit, von
niemandem zu einem Politikum hochstilisiert wurde.
·
Erst
als im Jahre 1957 der Urlauber Horst Kroitor aus Berlin Weißensee das
immer noch an seinem ursprünglichen Ort verbliebene Denkmal entdeckte und
es in einer in der „B.Z. am Abend“ und im „Neuen Deutschland“
veröffentlichten Leserzu-schrift zum Stein des Anstoßes deklarierte,
rückte es wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Zitat:
Auf meinen Wanderungen fand ich aber
auch etwas, was die Schönheit der Natur, die Schönheit der von mir
liebgewonnenen Schorfheide sehr beeinträchtigt. An der Straße von
dem Dörfchen Wildau, in unmittelbarer Nähe der Gemeinde Eichhorst,
steht heute noch ein Denkmal, das den faschistischen Pleitegeier und das uns
allen sattsam bekannte Hakenkreuz trägt. Auf der Rückseite des
Wisentdenkmals sind wie zum Hohn die protzigen Worte zu lesen: ,Einst zog
uriges Großwild durch Deutschlands Wälder seine Fährte. Jagd
war Mutprobe unserer germanischen Vorfahren. Unter dem Reichsjägermeister
Hermann Göring im Dritten Reich 1934 entstand hier ein deutscher
Urwildpark ...´
Erstaunlicherweise
vertreten verantwortliche Funktionäre von Eichhorst auch heute noch den
Standpunkt, daß Göring trotz allem doch etwas Gutes geleistet hat.
Hat man in Eichhorst nicht gemerkt, daß der zweite Weltkrieg, an dem der
Kriegsverbrecher Göring mitschuldig war, Millionen Menschen das Leben
gekostet und auch dieses herrliche Gebiet unseres Vaterlandes in seine
Vernichtung einbezogen hat?
Wo sind die Rudel der
Schaufler und edlen Hirsche? Wisent und Elch sind umgekommen. Kann man dabei,
selbst wenn man es von diesem engen Gesichtspunkt betrachtet, Göring noch
als Förderer des Wildbestandes bezeichnen? Ausgeschlossen.
Ich
denke, die für das Denkmal zuständigen Stellen sollten sich doch
darüber klarwerden, daß hier etwas geändert werden muß.
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Dieser
Leserbrief löste eine Flut recht unterschiedlicher Emotionen und
Reak-tionen aus. In einem Brief des Soldaten der Grenzpolizei, Herrn Richard
Demant vom 19.11.1957 an den Bürgermeister von Eichhorst heißt es
dazu:
Ich habe in der
Revierförsterei Eichheide, in deren Bereich der Stein des Anstoßes
steht, meine Forstlehre begonnen. Das Denkmal ist mir wohlbekannt, stets habe
ich mit einer Art Achtung davor gestanden, nicht etwa, weil die Machthaber des
3. Reiches ihre Insignien dort hinterließen, sondern weil in der
Schorfheide der erste deutsche Urwildpark entstand, der einmal bespielgebend
für ganz Europa war. Sie selbst wissen ganz genau, daß der Stein
nicht zu Ehren Görings gesetzt worden ist, sondern er will an den
ehemaligen Wildreichtum unserer Heimat erinnern zu Zeiten, wo Wisent und Elch
unsere Fluren belebten. Es bedarf solcher Erinnerung, da die Kahlflächen
im ehemaligen Gatter nichts mehr über den einstigen Anziehungspunkt
Tausender aus dem In- und Ausland aussagen können.
Wie aus der Abbildung im
ND ersichtlich ist, hat man sich offenbar große Mühe gegeben,
daß bereits ausgemeißelte Hakenkreuz wieder einzubringen. Man
sollte sich dagegen wehren, daß mit solchen unerlaubten Mitteln zu Felde
gezogen wird.
Wohl sieht man die
politische Begründung ein, daß auch Naturschutzparks, so berechtigt
sie sind, kein Freibrief dafür sein können, heute noch Steine mit
Hakenkreuz, Reichsadler und Loblied auf den Reichsjägermeister stehen zu
lassen. Wird jedoch die Göring betreffende Inschrift des Gedenksteins
entfernt, könnte bestimmt dieser nun wirklich einzigste und leider tote
Zeuge vom einstigen Wildreichtum Deutschlands erhalten bleiben.
Kann man den Stein nicht
unter Denkmalschutz stellen, nachdem das Unerwünschte
herausgemeißelt worden ist?
Ich habe bereits an die
Redaktion des „Neuen Deutschland“ geschrieben, ebenfalls an den Kreisrat in
Eberswalde. Ich möchte sie nun herzlich bitten mit der nötigen
Vorsicht Ihre Kraft dafür einzusetzen, daß die Schorfheide nicht um
eine wertvolle Erinnerung ärmer wird.
In
einem weiteren Brief setzt sich der mutige Grenzsoldat und frühere
Forstlehr-ling Herr Demant auch dem „Neuen Deutschland“ gegenüber für
den Erhalt des Denkmals ein. Auf die Argumente des Herrn Kroitor antwortet er
wie folgt:
Warum
sollte der Stein plötzlich verschwinden? Die rotbraune Keramikmasse
paßt sich sehr gut in die Landschaft ein. Viele Menschen erinnern sich
gern angesichts dieses Steins an ehemalige Erlebnisse, die sie aus der
Schorfheide mitnahmen. Mit dem selben Recht könnte man auch zum Kreuzzug
gegen die Autobahnen oder das ehemalige Reichsluftfahrtmini-sterium in Berlin
aufrufen. Verlangt Herr Kroitor aus Weißensee auch danach?
Aus dieser Zuschrift wird
deutlich, das einfache, mit der Schorfheide tief verwur-zelten Menschen
zumindest den Versuch unternommen haben, alle positiven und erhaltenswerten
Dinge, die mit dem Wisent-Denkmal im Zusammenhang stehen, in der DDR
öffentlich zu machen.
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Wie
aus der Antwort des Vorsitzenden des Rates des Kreises Eberswalde, Herrn
Skrodski, vom 16.12.1957 zu ersehen ist, hat sich zumindest der Vertreter der
ört-lichen Regierung dem Grundgedanken des Herrn Demant angeschlossen.
Zitat:
Natürlich sind wir nicht daran
interessiert, Denkmäler der Natur zu zerstören, aber wenn auf ihnen
ein Gewaltsystem verherrlicht wird, das unser deutsches Volk und die ganze Welt
in so tiefes Elend gestürzt hat, dann muss man schnellstens dafür
sorgen, daß sämtliche Mahnmäler an diese grauenvolle Zeit
verschwinden.
Ich habe aus diesem
Grunde veranlasst, daß zwar nicht der Stein, aber zumindestens das
Hakenkreuz mit dem Adler und die Inschrift sofort entfernt werden, so daß
der Stein bei späteren Besuchern keinen Anstoß mehr erregen kann.
Damit hoffe ich, Ihrem
Wunsche gerecht geworden zu sein als auch der berechtigten Kritik des
Beschwerdeführers Rechnung getragen zu haben.
·
Das
folgende Zitat aus einem anderen Brief der „BZ am Abend“ vom 24.9.1957 macht
deutlich, wie es um die Demokratie in der ehemaligen DDR bestellt war. Die
Leserzuschrift des Herrn Kroitor wurde veröffentlicht, während die
Leserzuschrift des Herrn Demant nicht veröffentlicht wurde.
Zitat:
Lieber Herr Demant!
Wir
haben Ihren Brief vom 14. September 1957 mit bestem Dank erhalten, können
uns aber zu einer Veröffentlichung nicht entschließen. Was sie
sagen, stimmt alles. Auf jeden Fall gehört aber die Göring
betreffende Beschriftung des Gedenksteines entfernt. Auch Natur-schutzparks, so
berechtigt sie sind, sind kein Freibrief dafür, heute noch Steine mit
Haken-kreuz, Reichsadler und Loblied auf den Reichsjägermeister bestehen
zu lassen.
Wir hoffen, daß sie
als Soldat der Deutschen Grenzpolizei diese politische Begründung
einsehen.
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Am
04.10.1957, genau an dem Tag, als der erste Sputnik in den Weltraum ge-schossen
wurde und das kosmische Zeitalter begann, meldete sich Herr Demant in der „B.Z.
am Abend“ zu Wort und setzte sich mit überholten Denkweisen im Osten
Deutschlands auseinander. Demant meinte, wenn man das Wisent-Denkmal
zer-störe, könne man auch zu einem Kreuzzug gegen die Autobahnen
aufrufen.
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Der
Brief des „Neuen Deutschland“ vom 6.1.58 an Herrn Demant unterscheidet sich von
den anderen Schreiben vor allen Dingen durch seinen restriktiven Tenor.
Herrn
Demant wird lakonisch mitgeteilt, dass seine Argumente keine Beachtung finden
und das höheren Orts die Entscheidung gefällt wird, das Wisent-Denkmal
zu entfernen; von wem – bleibt im Dunklen verborgen.
Zitat:
... wir müssen Ihnen sagen,
daß wir nicht mit Ihrer Meinung übereinstimmen. Wir sind
überzeugt, daß es richtig ist, den Gedenkstein ganz und gar zu
entfernen. Sie fragen, warum auch die letzte Erinnerung an das Gehege in der
Schorfheide ausgelöscht werden soll.
Welche Erinnerung meinen
sie?
Der Urwildpark besteht
nicht mehr. Dafür tragen letzten Endes die Faschisten die Ver-antwortung;
auch wenn er einmal während der Nazi-Zeit geschaffen worden ist. Die Tiere
sind umgekommen, der Park wurde zerstört durch den faschistischen Krieg.
Millionen Menschen ließen ihr Leben, hunderte Städte und Dörfer
sanken in Schutt und Asche – durch den faschistischen Krieg. Aber dieses Denkmal
erinnert nicht daran. Viele, die daran vorüber-kommen, verbinden die
Schorfheide ganz natürlich mit dem Namen Görings und werden über
das Denkmal genau so empört sein, wie unser Leser Herr Kroiter aus
Weißensee.
Wir
sind durchaus dafür, daß Denkmäler, die von historischem Wert
sind – wir meinen solche, wie z.B. das Goethe-Haus in Weimar, das
Dimitroff-Museum in Leipzig u.ä. – erhalten und gepflegt werden. In diesem
Falle sind wir aber anderer Meinung und werden uns weiter dafür
einsetzten, daß der Stein kein Stein des Anstoßes mehr ist.
Das
geschah dann auch sehr kurzfristig und gründlich ohne jedes wenn und aber;
auch gegen den Willen anderer ND-Leser und des damaligen Vorsitzenden des Rates
des Kreises Eberswalde, der nicht den Stein, sondern den Reichsadler und die
Inschrift entfernen ließ, so dass der Stein bei weiteren Besuchern
eigentlich keinen Anstoß mehr erregen konnte.
Von
einem Echo späterer Besucher war nichts mehr zu hören, wohl aber vom
Missfallen des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ über die in
Eberswalde gefällte Entscheidung. Das „Neue Deutschland“, oder vielmehr
seine Herausgeber, hatten einen anderen Ausgang der Angelegenheit geplant.
Über
die vollendete Tatsache wurde in einer weiteren Zeitungsnotiz wie folgt
informiert:
„Auf Ratsbeschluss des Kreises Bernau und auf Grund des
fachlichen Urteils der Kom-mission des Instituts für Denkmalspflege,
Außenstelle Nord I in Berlin, wurde festgestellt, daß das Denkmal
keinen kunsthistorischen Wert hat und demzufolge nicht würdig ist,
erhalten zu bleiben.
Wir haben daher die Weisung erteilt, das Denkmal zu vergraben.
Dies ist inzwischen erfolgt.“
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Mit
der praktischen Durchführung wurde der zuständige Revierförster
Walter Albrecht beauftragt, der, wie aus einem handschriftlichen Brief vom
19.8.1958 an seine ehemaligen Kollegen Demant und Höpfner hervorgeht, nur
gegen die höhere Gewalt, gegen seinen Willen und im Widerspruch mit seinen
Gefühlen und Über-zeugungen leider das Denkmal mit einem Traktor
umkippen und in einer vorbe-reiteten zwei Meter tiefen Grube von 6x4 Metern
vergraben musste.
Besonders
die vorab zitierten Briefe repräsentieren und dokumentieren lebendige und
lupenreine DDR-Geschichte. Die in den alten Bundesländern so verbreitete
These, dass die Diktatur des Proletariats in der ehemaligen DDR nichts anderes
war als die Herrschaft einer Partei und ihrer Funktionäre, wird an diesem
Beispiel histo-risch konkret und überdeutlich bewiesen.
Aber
noch einige andere Aspekte treten augenscheinlich hervor. Menschen neigen
häufig dazu, die in der Vergangenheit gemachten Fehler auf
Gegenstände zu proji-zieren und diesen Gegenständen dann den Nimbus
eines Fetischs zu verleihen. Schon Lenin hat sich in seinem Werk, „Der linke
Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus“ mit derartigen Fragen
auseinandergesetzt. Sie waren fast zu jeder Zeit ein gesellschaftliches
Problem.
Das
Wisent-Denkmal wurde von Professor Max Esser nicht geschaffen, um damit das
Dritte Reich zu hofieren, wenngleich es auch mit einigen Symbolen dieser Zeit
versehen wurde, was sich in keiner Epoche vermeiden lässt.
Nach
den furchtbaren Ereignissen des II. Weltkrieges, die ihren traumatischen
Niederschlag sowohl bei Einzelpersonen als auch in der gesamten Gesellschaft
ge-funden haben, ist ein allgegenwärtiger Verdrängungsprozess
entstanden und mani-fest geworden, der zwar einerseits eine natürliche
Schutzfunktion, die lebenserhal-tend ist, darstellt. Andererseits führt
ein solcher Verdrängungsprozess zur geistigen Überforderung, die sich
in ihrer Folge als Unfähigkeit ausdrückt, die Komplexität der geschichtlichen
Prozesse zu erfassen.
Mit
der Zerstörung des Wisent-Denkmals sollte verdrängt werden, dass es
in der Zeit zwischen 1933 und 1945, insbesondere vor dem Beginn des zweiten
Weltkrieges, eine Reihe durchaus anerkennenswerter wissenschaftlicher und
sozialer Leistungen für die deutsche Bevölkerung gegeben hat.
Aus
Furcht und dem Unvermögen heraus, der geistigen Auseinandersetzung mit der
schwierigen und so facettenreichen deutschen Geschichte nicht gewachsen zu
sein, wurde einer obskuren Bilderstürmerei der Vorzug gegeben.
Die
führenden SED-Funktionäre, die alle für sich die Fähigkeit
zum dialektischen Denken beanspruchten, haben sich selbst durch ihre
dilettantische Politik fernab von den Befindlichkeiten und Gefühlen der
einfachen Bevölkerung, ein übergroßes Denkmal in der Geschichte
neben Dogmatikern und Scholastikern verschiedenster Couleur gesetzt. Denn der
als so überlegen gepriesene Sozialismus hätte es, wenn er auch nur
einem Drittel seines Anspruches gerecht geworden wäre, wie ein sicheres Schiff
den Wellengang schlichtweg abkönnen müssen, den Eichhorstern ihren
Wisent und den Joachimsthalern ihren Bronzeadler am Kriegerdenkmal aus dem I.
Welt-krieg zu belassen.
Darüber
hinaus wäre noch der naive im Volk so verbreitete Glaube an das Funk-tionieren
der ständig gepredigten, sogenannten „Sozialistischen Demokratie“, bzw.
der Irrglaube an den Dienstweg hervorzuheben.
Im
Fall des Richard Demant wurde nur allzu deutlich, was man damit in der DDR
erreichen konnte. Nämlich überhaupt nichts. Der gleiche Irrglaube
hatte es in den dreißiger Jahren Stalins Schergen überaus leicht
gemacht, Tausende unbescholtene Bürger direkt von der Straße weg in
die Lager des GULAG zu bringen. In jedem Fall nahmen sich die Partei- und
Staatsfunktionäre in freier Willkür alle Rechte heraus.
Rein
spekulativ und ohne im Nachhinein wohlfeile Ratschläge erteilen zu wollen,
könnte man aus heutiger Sicht sagen, vielleicht hätte ein Herr
Richard Demant, ähnlich wie Lutz Heck im Dritten Reich, eine wirklich
große Persönlichkeit in der DDR für sein Anliegen gewinnen
müssen, vielleicht wäre dann das Wisent-Denkmal nicht zerstört
worden. Aber wer hätte das sein können?
Der
späte Erfolg der vollständigen Restaurierung und Wiedererrichtung des
Wi-sent-Denkmals in Eichhorst manifestiert noch einmal anschaulich und
lebensnah die Weitsicht und Richtigkeit der Wertvorstellungen aller um das
ehemalige Staats-jagdgebiet Schorfheide angesiedelten Waldarbeiter,
Förster und örtlichen Staatsfunk-tionäre, die sich in den
fünfziger Jahren als mutige Freigeister für den Erhalt dieses
Denkmals ohne Hakenkreuz eingesetzt haben.